08.08.2011
Santiago
Nach der „schweren“ Arbeit in Lagunillas fliegen wir in den wohlverdienten Urlaub: Osterinseln, oder wie Paddy sie zu nennen pflegen Osterhasi-Insel. Wir sind gespannt, ob der Osterhase denn nun wirklich von der Osterinsel kommt.
Schon lange haben wir davon geträumt, einmal die sagenhaften Moais auf der Osterinsel persönlich zu sehen. Auf Photos haben sie uns all die Jahre über mystisch mit ihren weissen Augen angeglotzt; jetzt gehen wir hin und glotzen zur Abwechslung mal zurück.
Kleine Osterinsel-Kunde
Die Osterinsel (singular) liegt im Pazifik. Oft wird von den OsterinselN gesprochen. Aber es ist nur eine einzelne, einsame Insel 3‘500 km westlich des südamerikanischen Festlandes. Die grobe Form der Insel entspricht einem langgezogenen Dreieck, wobei der längste Schenkel rund 23 km und die Höhe des Dreiecks 11 km misst. Die nächsten Inseln sind die Pitcairn Inseln und Französisch Polinesien.
Erreichen kann man sie nur von Santiago oder Papetee, Tahiti per Flugzeug oder einem der wenigen Schiffe die monatlich die Insel anlaufen.
Besiedelt wurde die Insel ursprünglich von den Polinesiern, welche sie Rapa Nui nannten. Die Europäischen Entdecker entdeckten die Insel dann etwas später und fanden, dass die Polynesier der Insel sich noch gut als Arbeiter in den Bergwerken einsetzen liessen. So verlud man sie auf Schiffe und nötigte sie, sich als Sklaven in den Bergwerken Perus zu Tode zu schuften. Nach langem Protest und einigen internationalen Interventionen liessen die Spanier die letzten 600 Rapa Nui-aner frei und schifften sie zurück auf die Insel. Dort kamen dann aber nur 200 an weil die übrigen 400 unterwegs an Seuchen und Unterernährung starben. Heisst also, dass die gesamte heutige Polynesie Bevölkerung von Rapa Nui von diesen wenigen Menschen abstammt.
Es ist auch nicht verwunderlich, dass mit dem Verlust des Grossteils der Bevölkerung der Insel auch fast die gesamte Kultur verloren ging.
Kaum dass sich die Bevölkerungszahl etwas erholte, hatte sich ein Grossgrundbesitzer breit gemacht, der die Insel als König regierte und das ganze Land für sich beanspruchte. Nach längerem hin und her entschloss sich dann ein beträchtlicher Teil der Polynesischen Bevölkerung auf das Festland nach Chile zu ziehen und dort ihr Glück zu suchen.
Es ist tragisch und dramatisch, wie die Kolonialisierung die Bevölkerung der Insel gebeutelt hat. Heute leben rund 2000 Polynesier und 1500 Weisse auf der Insel. Dazu kommen pro Jahr über 500‘000 Touristen. Entsprechend voll sind auch die täglichen Flüge von Santiago.
Nach 5 Stunden Flug setzen wir nicht etwa auf der Rollpiste auf; nein, der Pilot verlautet über Lautsprechen, doch mal auf der linken Seite aus den Fenstern zu schauen, da sehe man die Südküste und die Moais, dann auch noch der schöne Strand, wo man baden kann, etc., etc. – wir denken wir sind im falschen Film. Sightseeing im Tiefflug mit einer Linien-Maschine! Der Pilot setzt dann noch einen drauf; er fliegt eine grosse Schleife und zieht wieder im Tiefflug an der Küste entlang, so dass die Passagiere auf der anderen Seite auch alles sehen können. Wohlgemerkt wir sprechen nicht von einer kleinen 12plätzigen Maschine. Es ist eine ausgewachsene Boeing 737!
Kurz darauf setzt der Flieger auf und uns schlägt warme, schwüle Luft entgegen. Herrlich, nach all den Monaten in der Kälte. Schnell haben wir unser Gepäck und am Ausgang wartet schon Marta vom Campingplatz auf uns. Beide bekommen wir ganz nach polynesischer Art einen Blumenkranz um den Hals gehängt und werden ins Auto verfrachtet. Puhh, ist das warm! Halt, es sind ja nur gerade 23 Grad. Doch wir sind völlig auf Winter und Kälte eingestellt. So reissen wir uns auf dem Camping als erstes die langen Hosen und die dicken Socken vom Leib und kleiden uns in Shorts und Sandalen – viel besser!
Wir sind in Hanga Roa, der einzigen Ortschaft auf der Osterinsel. Was sollen wir denn nun anstellen?! Wir marschieren in den Ort, um uns mal umzuschauen. Viel gibt es nicht zu sehen, doch wir stellen fest, das ist definitiv nicht mehr Südamerika, das ist Polynesien. Die Häuser, die Vegetation und die Menschen; alles ist polynesisch.
Am Meer unten – wir sind auf der erfolglosen Suche nach dem Strand – sehen wir, wie der Ortschaft die Brandung entgegenschlägt. Kein Riff, keine vorgelagerten Inseln, die den aufgewühlten Pazifik davon abhalten, an die felsige Küste zu donnern.
Die kleine Stadt ist schnell durchschritten und in der Ferne sehen wir bereits die ersten Moai, die sagenumwobenen Steinskulpturen. Kurz darauf stehen wir vor ihnen. Zu fünft sind sie auf einem steinernen Bett aufgereiht, nicht mehr alle komplett; zum Teil fehlt der Kopf oder gar die eine Hälfte der Statue.
Die Moais stehen mit dem Rücken zum Meer. Eigentlich komisch. Man erwartet eher, dass sie auf’s Meer hinaus schauen würden, doch nirgends auf der Insel schauen sie auf das Meer – immer zum Land hin. Wie wir später nachlesen, ist es nicht geklärt weshalb dies so ist. Man geht davon aus, dass die Moais die Ahnen verkörpern, die über die Lebenden wachen. Deshalb denkt man auch, dass sie mit dem Rücken das Unglück vom Meer abschirmen sollen. Leider nützt das nicht immer viel. Am fernen Ende der Insel hat es eine Aufreihung von Moais, die in regelmässigen Abständen von Tsunamis umgeschmissen wird, wohl kein gutes Zeugnis für die Ahnen – oder eher die Lebenden!?
Für den heutigen Abend lassen wir es genug sein und wandern zurück zum Camping. Auf dem Rückweg merken wir, dass wir faul geworden und uns das Gehen nicht mehr gewohnt sind. So entschliessen wir uns auf dem Rückweg ein Motor-Scooter zu organisieren. Die Insel ist ja auch riesig…
Neuer Tag, neues Glück. Auf dem Campingplatz treffen wir auf zwei Deutsche, die sich ein Auto mieten, um die Insel zu erkunden. Sie fragen uns, ob wir mitfahren wollen – die direkte Frage wäre wohl eher gewesen: Übernehmt ihr die Hälfte der Kosten? Uns ist es recht, erhalten wir so einen ersten Eindruck und können uns dann in den kommenden Tagen die Details noch genauer anschauen.
Die 23 km bis zum andern Ende führen zuerst aus Hanga Roa, eine Stadt, unsere polynesische Heimat auf Zeit ist – üppige Büsche mit grossen Blüten, kleine Häuser, schlechten Strassen und allen Infrastrukturen, welche man für 5000 Menschen auf einer einsamen Insel benötigt. Auf der „grossen Überlandstrasse“ geht es dann zuerst bergauf, vorbei an den „Vorortssiedlungen“. Langsam gewinnen wir Höhe und überschauen Hanga Roa, den Flugplatz und die Südküste. Das Land ausserhalb der Stadt ist zwar grün, jedoch absolut baumfrei. Nur weiter oben am Hang des grossen Vulkans Maunga Terevaka hat man einen Eukalypthus-Wald gepflanzt. Kurz darauf führt die Strasse durch den Wald und die Bäume rauben uns die Sicht. Ahh, wie schön: üppiges Grün!!! Wir sind es uns nicht mehr gewohnt. Zuerst der knochentrockene Norden Chiles, dann die verschneiten Berge um Santiago, seit Monaten haben wir kein richtiges Grün mehr gesehen. Eine Minute später fahren wir aus dem Wald heraus in eine liebliche Landschaft mit Kühen, die in mit Steinmauern begrenzten Weiden stehen – das Bild könnte irgendwo in England oder Schottland sein. Dann sind wir auch schon auf der anderen Seite der Insel und die Strasse senkt sich gegen die Küste. Das Land ist bewachsen mit mannshohen Büschen und vor uns liegt der einzige Badestrand der Insel, Anakena. Doch zuerst schlängelt sich die Strasse noch an einem schönen kleinen Landsitz mit englischem Rasen, Palmen und blühenden Büschen vorbei, dann endet sie auf einem grossen Parkplatz.
Vor uns das Meer, rechts ein grosser Palmen-Park mit weissen Strand und einer handvoll kleiner Hütten und Verkaufsständen, rechts ein in den Hang gebauter Toiletten-Komplex – hier werden wir wohl nicht lange alleine bleiben…
Wir zwängen uns aus dem kleinen Auto und gehen los: Strand ankucken und Moais begaffen. Einer der armen Ahnen liegt mit der Nase im Sand – ihm ist wohl schlecht geworden – beim Anblick der unzähligen käsefarbenen Touristen, die sich hier in der Hochsaison vorbeiwälzen.
Einige dieser Moais haben noch einen zylinderförmigen Hut mit breiter Krempe auf dem Kopf. Erklärt werden diese als diese als stylisierte Haarknoten welche die Polynesier traditionell tragen – er soll mit dem Jenseits und den Ahnen verbinden.
Die Badehosen haben wir eingepackt, doch auspacken tun wir sie nicht. Paddy hält mutig den Fuss ins schöne, blaue Meer, fast friert ihm der Zeh ab. So machen wir eine Runde durch den kleinen Park, quetschen uns ins Auto und fahren weiter. Für den Rückweg wählen wir die unasphaltierte Strasse der Südküste entlang.
Gemäss Inselplan hat es hier auch noch einige archäologische Stätten, doch diese erschöpfen sich in einigen, zwar sehr perfekt und flach gebauten, doch undefinierten Steinmauern von 10-15 Metern Länge 2-3 Metern Dicke und 1 – 1,5 Metern Höhe. Einen Namen haben die Bauten: „Ahu“. Was sie sollen – keiner weiss es. Sind es vielleicht vorbereitete Sockel für weitere Moais? Es bleibt ein Rätsel.
Die Fahrt geht weiter und wir lassen uns durch keine vermeidlichen archäologischen Stätten mehr beirren – unser Ziel sind die Moais von Ahu Tongariki. Da es nur 3 km sind, erreichen wir diese trotzt der schlechten Strasse nach wenigen Minuten.
15 Moais stehen hier in Reih und Glied. Eine japanische Firma hat sie vor 20 Jahren nach einem Tsunami in den 60iger Jahren wieder aufgerichtet und an ihren Platz gestellt. Es ist sehr beeindruckend, wie diese 5 bis 7 m hohen Gestalten so da stehen. Wir fragen uns, wie haben die Maoris das nur gemacht? (Die Insulaner nennen sich zum Teil gleich wie die Polynesier Neuseelands)
Hinter uns erhebt sich ein kleiner Vulkankegel, der Rano Raraku. Es ist der Ort auf der Insel wo die Figuren aus dem Stein gekerbt, gegraben, gehämmert und gesägt wurden. Von dort aus wurden sie über die ganze Insel transportiert und dann aufgestellt. Interessanterweise liegt der einzige Steinbruch für die rötlichen „Zylinder-Hüte“ auf der anderen Seite der Insel. Es musste also in jedem Fall ein tonnenschwerer Teil der Moais quer über die Insel transportiert werden.
Der Steinbruch von Rano Raraku und ein kleine zeremonielle Siedlung am südwestlichen Ende der Insel sind die beiden Teile des hiesigen Nationalparks. Wir sind uns immer noch am überlegen, ob wir die 30‘000 CLP (ca. 50 CHF) Eintrittsgeld ausgeben wollen.
Nach einigem Ah und Oh über die Moais von Ahu Tongariki, klettern wir wieder ins Auto und machen uns auf den Rückweg nach Hanga Roa. Es geht vorbei an einigen weiteren Moais, die aber samt und sonders auf der Nase liegen und meist in mehrere Stücke zerbrochen sind.
Das war ein Tag mit vielen Eindrücken. Morgen wollen wir es dann etwas ruhiger mit dem eigenen Gefährt angehen.
Neuer Tag – immer noch müde… Gestern haben wir noch Angelina, eine Engländerin, kennengelernt. Zusammen haben wir eine Flasche Wein getrunken und uns noch lange über den Sinn und Unsinn des Lebens unterhalten. Sie ist eine faszinierende Person. Wärterin in einer Erziehungsanstalt für kriminelle Jugendliche; hat sich daher angefangen für Konfliktbewältigung zu interessieren und tingelt nun alleine durch die Welt, um bei verschiedenen Kulturen abzugucken, wie mit Konflikten umgegangen wird. Ihr nächstes Ziel nach der Osterinsel ist Papua Neu Guinea, wo sie im Urwald noch möglichst unberührte Stämme besuchen möchte, um rauszufinden, wie da mit Konflikten umgegangen wird… einen guten Appetit wünscht man da, denn bis vor wenigen Jahrzehnten wurden dort noch die Feinde zum Mittagessen verzehrt…
Doch unsere Müdigkeit hält uns nicht davon ab, dass wir mit unserem gemieteten Scooter los düsen. Heute stehen Höhlen auf dem Programm. Entlang der Nordwest-Küste soll es einige davon geben.
Gleich nach dem Dorf – ähh, Entschuldigung – gleich nach der Stadt, treffen wir auf die Erste. Zuerst sehen wir links am Strassenrand nur eine Tafel. Wir parkieren, steigen ab und machen uns auf die Suche. Ein Stück weiter vor uns tost das Meer und bricht sich an der Steilküste. Wir folgen dem Trampelpfad und treffen auf ein kleines Loch im Boden. Was, da soll es zur Höhle rein gehen? Passt Paddy da überhaupt durch? Paddy ist zuversichtlich und mit genügend Willen und etwas Luft raus lassen schafft er es problemlos.
Es geht nur gerade einen Meter hinab. Unten ist es stockfinster. Wir schalten unsere Taschenlampen ein und tasten uns vorwärts. Der schwarze Fels schluckt das Licht und unsere sonst guten Taschenlampen erhellen unseren Weg kaum. In der Hocke gehen wir vorwärts, immer darauf bedacht nicht den Kopf an den scharfen Kanten anzustossen. 5 Meter weiter macht die Höhle einen scharfen Knick nach links und wir sehen in der Ferne einen Lichtschimmer, gleichzeitig vergrössert sich die Höhle und wir können uns aufrichten. 10 Meter weiter verzweigt sich die Höhle und beide Teile führen noch wenige Meter weiter, um dann in halber Höhe der Klippen zu enden. Von hier bietet sich ein spektakulärer Ausblick auf das Meer und die Brandung die 20 Meter weiter unten an die schwarzen Vulkanfelsen donnern. Woge für Woge brandet an den Felsen und erzeugt einen eigenartigen hypnotischen Effekt. Keine Ahnung wie lange wir da stehen und den Wellen zuschauen. Doch irgendwann müssen wir uns loseisen, denn es warten noch weitere Höhlen auf uns.
Die nächste Höhle beginnt unscheinbar und ist mit einem trichterartigen Vorbau versehen. Sie führt einige duzend Meter unter dem Boden zu einem kleinen Ausgang. Unterwegs schillern uns grünliche Lichter entgegen, die sich als phosphoreszierende Flechten entpuppen.
Übrigens, der Ursprung aller Höhlen sind unterirdische Lavaflüsse. Also Lavaflüsse deren äusseren Zonen sich abgekühlt und eine Röhre gebildet haben, in der das flüssige Gestein zum Meer floss. Entsprechend ist die Struktur des Felsen kristallin und die Brocken haben eigenartig geometrische Formen.
Die letzte Höhle, die wir besuchen ist die Banana-Cave. Ein eingebrochener Lavatube, der im Innern seit jeher als Bananenplantage genutzt wird. Die Decke dieser grossen, bestimmt 20 Meter durchmessenden Röhre ist auf einer Länge von 100 Metern eingebrochen. In der Senke sammeln sich genug Feuchtigkeit und Humus, um grossen Bananenstauden das ganze Jahr eine Heimat bieten zu können. In verschiedenen Seitenhöhlen sind Wasserbecken als Reserven angelegt.
Wir sind bereits wieder beim Hinausklettern als wir bemerken, dass eine der unscheinbaren Seitenhöhlen weiterführt. Wir kehren um und folgen ihr. Immer weiter führt uns die Röhre in die Dunkelheit; mal grösser, mal kleiner im Durchmesser. Immer wieder müssen wir heruntergestürzte Deckensegmente umgehen oder überklettern. Wir hoffen, dass wir uns nicht verirren, doch das Risiko ist gering – es ist ja schliesslich nicht eine natürlich gewachsene Höhle, sondern die Überreste eines einzelnen Lavastromes, der sich nicht verästelt oder geteilt hat. Es ist gespenstisch mit unseren kleinen Stirnlampen durch die Dunkelheit oder die spärlichen Lichtschimmer zu tappen. Immer wieder sehen wir die phosphoreszierenden Flechten an den Wänden, die uns gespenstisch irreführen und Ausgänge vorgaukeln.
Am Schluss der Höhle erwartet uns ein kleiner, enger Ausstieg in 3 Metern Höhe. Wie kommen wir da nur hinauf!? Andere vor uns haben schon vorgesorgt und unter dem Loch einen Steinhaufen errichtet. Wir erklimmen diesen und blinzeln ins grelle Tageslicht. Noch zwei Klimmzüge und wir sind wieder unter dem freien Himmel. Überrascht stellen wir fest, dass wir uns viele hundert Meter von der Banana-Cave entfernt haben. Die Distanz unter der Erde hat sich nicht so weit angefühlt.
Tags darauf – nach einer weiteren Flasche Wein mit Angelina am Vorabend und Philosophiestunde bis in den frühen Morgen – brechen wir noch in der Dunkelheit auf. Wir wollen die Moais von Ahu Tongariki bei Sonnenaufgang bestaunen. Es sei legendär die Sonne hinter den steinernen Zeugen aufgehen zu sehen.
So setzen wir uns, Petra den zu grossen und Paddy den zu kleinen Helm auf die Köpfe und zischen mit unserem Roller, ohne Frühstück, noch im Finstern der Nacht, los. Da wir wissen, dass die Strasse an der Südküste schlecht und mit unzähligen Schlaglöchern übersät ist, fahren wir vorsichtig. Dennoch die Zeit drängt, am Horizont zeichnet sich schon der nahende Morgen ab. Im fahlen Licht des kleinen Scheinwerfers fahren wir mit Höchstgeschwindigkeit im Zickzack-Kurs um die Löcher in der Strasse. Als wir in Ahu Tongariki ankommen, ist es bereits hell; doch die Sonne ist noch unter dem Horizont. Sofort laufen wir los und bringen uns in Position, um möglichst einmalige und schöne Photos zu schiessen.
Langsam, langsam steigt die Sonne – oder besser – wir ahnen, dass die Sonne steigt, denn der Himmel ist wolkenverhangen. Naja, man kann nicht alles haben. Dennoch lugen die ersten Sonnenstrahlen über die Wolken und lassen deren Ränder aufleuchten. Wir knipsen und knipsen – au keinen Fall eine Einstellung verpassen. Zum Glück haben wir eine Digitalkamera; nicht vorzustellen, was das kosten würde, wenn man noch eine alte Analogkamera gehabt hätte – vor allem auch die Zeit, die man mit dem ständigen Wechseln der Filme verloren hätte (das waren noch Zeiten….).
Die Maois sind ein schwieriges Motiv, denn die Wolken sind hell, die Moais dunkelgrau und wir photografieren gegen das Licht. So die Einzelheiten der Moais und die Stimmung des Lichtes einzufangen ist unmöglich. Wir beschränken uns auf die Stimmung des Lichtes und die Umrisse der Figuren. Irgendeinmal verabschiedet sich Paddy. Ihm ist das ständige Herumrennen und Photografieren zu viel. Er möchte lieber die Stimmung geniessen. Doch nur kurz schafft er es sich hinzusetzten. Bald schon photografiert er wieder bei einem abseits stehenden Moai.
Dann ist es 9 Uhr. Wir haben uns entschieden die 30‘000 CLP auszugeben und den Nationalpark zu besuchen. Wir fahren die wenigen hundert Meter zum Vulkankrater Rano Raraku und kaufen uns die teuren Eintrittsticket. Dann erklimmen wir die äussere Caldera und besuchen zuerst den Vulkankrater. Es ist hier, wo wir die oft photografierten Moais finden, die krumm und schief in der Erde stehen. Von Bildern und Photos glaubten wir, dass sie an der Küste stehen, überrascht stellen wir fest, dass diese schiefen Moais fehlerhafte Ausschussware sind, die den Steinbruch nie verlassen haben. Doch auch diese meterhohen Figuren vermögen zu faszinieren, wie übergrosse, fallengelassene Zahnstocher stecken sie im Gras des Kraters.
Dann marschieren wir zurück zur äusseren Kraterseite. Auch hier wurden Moais gefertigt. Ein Weg führt wiederum zu Maois, die wie übergrosse Zahnstocher in der Landschaft stehen und in alle Himmelsrichtungen weisen. Weiter hinten findet sich sogar noch ein unfertiger Moai, der auf dem Rücken liegend, nur halb aus dem Felsen geschlagen ist. Es ist faszinierend, wie die Menschen dies ohne Metall fertig gebracht haben.
Ein grosses Rätzel ist bis heute, wie die Insulaner die viele Tonnen schweren Skulpturen über die ganze Insel hinweg transportiert, sie aufgerichtet und den Knoten-Hut darauf gesetzt haben. Spekulationen und Theorien existieren viele, doch keiner weiss etwas genaues.
Den letzten Tag verbringen wir mit ausschlafen. All die nächtlichen Gequatsche mit Angelina haben uns zugesetzt. Letzte Nacht stiess dann noch Jim, ein Australier, dazu. Jim ist alleine mit seinem Segelboot schon seit 6 Jahren unterwegs. Seit 4 Monate liegt er schon im Hafen von Hanga Roa. Eigentlich ist im hafenliegen nicht der richtige Ausdruck. Sein Boot ist auf der Pier zwischen zwei leere Container eingeklemmt und verzurrt. Zum Glück noch nicht allzu lange, wie er uns mitteilt. Vor 2 Monaten hätte es ein Tsunami Warnung gegeben. Er sei dann schnell aufs Meer hinaus gefahren und hätte den Tsunami abgewartet. Wäre das Schiff auf dem Dock gelegen, dann hätte der Tsunami das Schiff mitsamt der Container ins Meer gezogen. Nun hofft er, dass im Moment kein Tsunami kommt und er seine Renovations- und Reparaturarbeiten abschliessen kann.
Er arbeitet mit der Universität von Kalifornien zusammen, und hilft bei der Messung von Meeresströmungen. Dies werde aktuell vorwiegend anhand der mikroskopisch kleinen Schwebeteilchen im Wasser gemacht, welche durch den verheerenden Tsunami in Japan im ganzen Pazifik verteilt sind. Meist sind es Plastikteile, welche das Meer feingemahlen hat und die er nun mit Hilfe von feinen Netzen einsammelt. Die dichte der Materie im Wasser wird gemessen und dadurch auch der Wasseraustausch und die Strömung im Pazifik. Sein nächster Auftrag ist, das gleiche im Raum der Midway Inseln und Hawaii vorzunehmen. Spannend!
Wir jedenfalls leiden unter Schlafmangel und haben die Fortsetzung des Gespräches mit Jim auf Santiago verschoben. Jim begleitet uns für eine Woche aufs Festland, um Post und Ersatzteile zu holen.
Am letzten Tag unseres Inselabenteuers, fahren wir hoch zum Vulkan Rano Kau. Hier liegt der zweite Teil des Nationalparks. Vom Kraterrand bietet sich ein einmaliger Blick in den Vulkankrater. Ein einziger grosser See überzogen mit einem eigentümlichen Bewuchs, der den ganzen See in kleine Runde Wasserlöcher unterteilt. Darin spiegelt sich der blaue Himmel. Es ist ein unglaubliches Bild, welches niemals auf einem Photo eingefangen werden kann. So belassen wir es bei ein paar wenigen Beweisphotos und geniessen den Ausblick.
Der zweite Teil des Nationalparks umschliesst das Zeremonialdorf Ornongo auf dem Kraterrand des Rano Kau. Zuerst wissen wir nicht so recht, was ein „Zeremonialdorf“ sein soll. Wie wir dann aber vernehmen, wurde hier jährlich der König der Insel bestimmt. Die jungen Männer und Repräsentanten der Clanchefs trafen sich hier jeweils im Frühjahr für einige Tage, um einen Wettkampf auszutragen. Er bestand im Wesentlichen darin, das erste gelegte Ei der Seeschwalben zu ergattern. Wer es hatte, wurde für ein Jahr der Häuptling aller Insulaner.
Die Schwierigkeit dabei war, dass die Seeschwalbenkolonie auf einer kleinen unbewohnten Insel 100 Meter vom Festland brüten und das Meer auf diesen 200 Meter einem brodelndem Kochtopf gleicht.
Vorbereitet haben sich die Männer in niedrigen Steinhütten, welche an den schmalen Kraterrand gebaut wurden und kaum hoch genug sind, um auf allen Vieren hineinkriechen zu können. Es ist unglaublich an welchen Orten die Hütten errichtet wurden. Zum Teil kleben sie an der äussersten Kante, direkt über dem Abgrund der sich zum Meer hin auftut.
Im Wettkampf mussten die Männer dann erst die steilen Klippen hinunter zum Meer bewältigen. Dabei schleppten sie ein Surfbrett-ähnliches Binsenboot mit. Dann mussten sie sich durch das tobende Meer zu dem winzigen Eiland kämpfen, dann einen Weg finden um auf der Insel landen zu können, anschliessend auf der Insel warten bis das erste Ei gelegt wurde respektive es überhaupt zu finden. Das Folgende ist klar: das Ei musste unbeschadet wieder durch das Meer, die Brandung, über die Klippen hoch zum Dorf gebracht werden.
Wenigstens wurde der Häuptling ohne Blutvergiessen erkoren, denn ansonsten waren die Insulaner bei weitem nicht so zimperlich und haben untereinander oft heftige Kriege geführt. Man muss sich das mal vorstellen, was das heisst bei der geringen Grösse der Insel.
Damit ist unser Besuch auf der Osterinsel auch schon wieder fertig. 5 Tage sind wir da und eigentlich wären wir jetzt erst richtig warm gelaufen. Jetzt würden wir noch gerne wandern, reiten und radfahren, doch unsere mitgebrachten Vorräte sind zu Ende, unser Flugticket ist für morgen und auch sonst wäre ein längerer Aufenthalt hier viel zu teuer, denn alles was wir hier konsumieren wird, ist eingeflogen worden.
Brausend erhebt sich heute der Flieger von der Rollbahn und bringt uns, ohne weitere Sightseeing- Runde über der Insel, nach Santiago zurück. Vor uns liegen nun 2 Monate Arbeit im Patio Suizo. Wie die wohl werden…?