24.07.2010
Mikolajki (PL) – Rudeskes (LT) – Kurtuvenai (LT) – Kuldiga (LV) – Lecava (LV)
Ungern verlassen wir unseren Zufluchtsort am See. Zu schön ist er, zu ruhig. Nach einigen rumpligen und sandigen Kilometern durch den Wald hat uns die hektische Landstrasse wieder zurück. So fahren wir auf dem direktesten Weg nach Litauen. Unser erstes Ziel erreichen wir am Nachmittag in Grütas. Ein findiger Geschäftsmann hat beim Zusammenbruch der alten, sowjetischen Ordnung so viele kommunistische und stalinistische Monumente zusammen getragen, wie er konnte. Denn kurz nachdem Litauen unabhängig wurde, hat man das Land von all den Heldenmonumenten des Kommunismus gesäubert. Der findige Geschäftsmann hat nun all diese Heldenmonumente in einem beschaulichen Park zusammengetragen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Ausstellung ist durchwegs kritisch und wird mit eindrücklichen Dokumenten, Photos und Beschreibungen zu der kommunistischen Ära abgerundet.
Zuerst schauen wir uns die ganzen Statuen an. Von ganz klein, bis ganz gross. Büsten, überlebensgrosse Helden der Sovjetunion und Lenin im Gigantenformat. Alles da. Der Kunststil gefällt Paddy gut; wenige klare Linien, die eine starke Ausdruckskraft verleihen. Körper die Kraft und Dynamik ausdrücken. Wirklich sehr eindrücklich.
Die dazugehörige Ausstellung hat uns dann aber sehr auf den Boden der Sovjetrealität zurückgeholt. Partisanenkriege, Denunziation, Deportation, Mord und Totschlag im Namen der Solidarität, Indoktrination; die ganze Bandbreite wurde uns auf sehr nachfühlbare Art nähergebracht.
Stellt euch vor; 40% der Bevölkerung wurde wahllos nach Sibirien deportiert. Dafür wurden Russen „importiert“, um die Region zu assimilieren und das nationale Bewusstsein zu underdrücken.
Eigentlich wollten wir hier übernachten, doch da es noch recht früh ist, fahren wir weiter. Unweit von Vilnius finden wir im Wald einen Campingplatz der von einem Holländer betrieben wird. Wim, der Inhaber, ist schon 70 Jahre alt. Doch das hindert ihn nicht im ununterbrochenen Trab auf dem Camping unterwegs zu sein. Er und seine Frau sind die einzigen Mitarbeiter. Zwar ist der Camping überhaupt nicht überfüllt, doch gibt es immer genug zu tun mit Rezeption, Reinigung, Unterhalt und so weiter und so weiter. Dazu trainiert er auch noch die Jugendlichen der ganzen Umgebung im Radfahren. Den ersten hat er schon in der Tour de France platzieren können. Dazu gibt er noch 8 Stunden Turnunterricht an der örtlichen Schule und organisiert jeden Samstag eine Disco für die Jugendlichen d.h. er holt alle Jugendlichen aus allen Weilern, Dörfern und abgelegenen Gehöften ab, spielt DJ und Kellner und fährt anschliessend wieder alle nach Hause. Dazu bemüht er sich auch noch Jugendliche, welche in schwierigen familiären Verhältnissen leben bei Verwandten und Bekannten zu platzieren, damit sie eine bessere Chance im Leben haben. Es ist verrückt was dieser Mann alles macht, schlicht unglaublich.
Jedenfalls gefällt es uns an diesem stillen Ort so gut, dass wir die nächsten beiden Tagesetappen von hier aus bestreiten.
Trakai mit seiner Wasserburg besuchen wir per Velo. 20 Kilometer durch dichte Wälder, sandige Strassen, knöcheltiefe Wasser- und Schlammlöcher, vorbei an sehr ärmlichen Weilern, hinein nach Trakai mit sehr hübschen Häusern in skandinavischem Stil, vermischt mit realsozialistischen Plattenbauten. Die Burg ist ein Nachbau der in den 80iger Jahren nach fast 100jähriger Bauzeit fertig gestellt wurde. Entsprechend ist auch das Interieur nicht wirklich sehr beeindruckend und wirkt eher wie ein Rohbau.
Schnell machen wir noch ein paar Besorgungen bevor wir, dieses Mal auf der Landstrasse, zum Campingplatz zurück fahren.
Auf dem Campingplatz empfängt uns wieder Ruhe. Es ist unglaublich, wie die Ruhe des Waldes auf die Menschen übergeht. Alle sind irgendwie zufrieden, gelöst und langsam unterwegs. Niemand findet es nötig Musik zu machen oder laut herumzuschreien. Es ist so erholsam nach all den lauten Campingplätzen (ausser dem letzten in den Masuren natürlich). Mit unseren Nachbarn, Elke und Jochen, aus Deutschland halten wir dann noch einen längeren Schwatz und lassen den Tag gemütlich ausklingen.
Heute geht es mit dem Zug nach Vilnius. Wim bringt uns mit dem Auto zum nahegelegenen Bahnhof. Im Auto gesellt sich noch David zu uns, ein Australier der in Deutschland lebt, perfekt deutsch spricht und mit dem Fahrrad 3 Wochen im Baltikum unterwegs ist. Irgendwie ergibt es sich, dass wir den ganzen Tag zusammen verbringen.
Gemeinsam erkunden wir Vilnius. Vilnius gilt als eine der schönsten Renaissance Städte Osteuropas. Und wirklich sehen wir viele schöne, imposante Gebäude. Viele Kirchen hat die Stadt. Auf unserem Stadtplänchen zählen wir alleine 21 Kirchen in der Altstadt. Viele sind sehr baufällig und nur die wichtigsten sind wirklich unterhalten. Aber auch bei diesen merkt man, dass das Geld fehlt um die laufenden Ausbesserungsarbeiten auszuführen.
Ganz allgemein sind wir sehr überrascht von Litauen. Im Reiseführer wird es als ein eher armes Land mit 20% Arbeitslosigkeit dargestellt. Wir empfinden Litauen aber als ein sehr fleissiges, aufgeräumtes und ordentliches Land. Die meisten Häuser sind gestrichen und die Gärten wunderschön zurechtgemacht mit perfekt gemähtem Rasen, farbigen Blumenbeeten und einem Teich der zwischen Vogelbad und ausgemachtem See variieren kann. Die Häuser und auch die Landschaft erinnern uns sehr stark an Skandinavien. Auch die Menschen sind sehr oft blond bis strohblond und haben sehr skandinavisch Gesichtszüge.
Nach einem interessanten Tag in Vilnius kommen wir ziemlich müde auf dem Campingplatz an, das hält uns aber nicht davon ab, dass wir mit David gemeinsam kochen und mit ihm bis weit in die (noch immer sehr helle Nacht) quatschen. Auf dem Weg nach Hamburg werden wir ihn in Leipzig für eine exklusive Stadtbesichtigung und vielleicht auch auf ein paar Bierchen besuchen.
Wieder nehmen wir nur ungern Abschied von diesem Platz, gerne würden wir noch etwas die Ruhe geniessen.
Unser nächstes Ziel ist „The Hill of Crosses“. Ein skurriler Ort mitten auf den Feldern wurden und werden auf und rund um eine kleine Erhebung Kruzifixe aufgestellt. Der Ort ist über und über mit Kreuzen übersät. Grosse bis zu 4 Meter hohen, kleinen Kreuzen an Rosenkränzen um grössere Kreuze gehängt. Alle Arten von Kreuze findet man. Viele in Holz aber auch solche in Metall und Stein.
Selbst der Papst war schon hier und hat dem Litauischen Volk für ihren starken Glauben gedankt.
Uns stellt sich mehr die Frage, ob diese Ansammlung von Kreuzen noch etwas mit Religion und Glaube zu tun hat. Oder ob es nur noch darum geht auch ein Kreuz zu den 200‘000 (so viele sollen es nämlich sein) hinzugefügt zu haben. Es wirkt auf uns mehr wie ein Spiel, bei dem vorbeigehende Wanderer einen Stein auf einen bestehenden Steinhaufen legen.
Weiter geht es durch den Zemaitijos National Park. Nebst einer sowjetischen Raketenabschussbasis, die wir nicht finden, einem Wallfahrtsort, in dem wir nur die Kirche besuchen, nehmen wir uns vor allem die Zeit den Skulpturen Park Orvydas zu besuchen. Ein etwas spezieller Platz. Ort ist es nicht klar, ob die Steine Kunst sind oder einfach nur Rohmaterial. Dennoch ist die Anordnung von steinernen, hölzernen und metallenen Kreationen im Dickicht aus Steinen und Pflanzen faszinierend. Dazwischen finden sich befinden sich kleinere und grössere Ateliers, welche jedoch nur per Zufall gefunden werden können. Von hier aus geht es direkt nordwärts nach Lettland.